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Ansprache von Bürgermeister Pierik zum Totengedenken – 4. Mai 2024

Meine Damen und Herren, niederländische Bürgermeister haben einen offenen Brief geschriebenüber den zunehmenden Antisemitismus geschrieben und rufen zum Widerstand gegenjede Form von Diskriminierung und Rassismus.

Ich möchte den Inhalt dieses Briefes hier und jetzt mit Ihnen teilen.

Das Nationale Holocaust-Museum zeigt ein Schild, das während des ZweitenWeltkriegs an vielen Orten in unserem Land hing. Darauf steht ‘Juden unerwünscht’.Diese Schilder mussten oft auf Anordnung der Besatzungsmacht an Geschäften und Cafés angebracht werden. Es gab aber auch Niederländer, die ein solches Schild aus eigenem Antrieb aufstellten.

Einige Wochen nach dem 7. Oktober 2023 bekam ein jüdisches Kind von einem seiner jüdischen Klassenkameraden, der nichtwar, eine Zeichnung mit nach Hause. Darauf war Adolf Hitlergezeichnet, mit einer Pistole daneben.

Liebe Leute, Antisemitismus ist kein Einzelfall, sondern eine uralte Form desRassismus, der, wenn wir nichts tun, von Generation zu Generation weitergegeben wird.Der Holocaust ist die extreme Konsequenz der Ausgrenzung von Menschen aufgrundihrer Herkunft. Der Holocaust lehrt uns, dass wir uns stetsjeder Form von Diskriminierung und Rassismus widersetzen müssen.

Der Antisemitismus ist nach dem Zweiten Weltkrieg nie verschwunden, sondern tauchte bereitsden Jahren vor dem 7. Oktober 2023 immer häufiger auf. Dies geschah auf verschiedeneArten und aus vielen verschiedenen Ecken der Gesellschaft. Rund umdie Corona-Krise haben wir zum Beispiel gesehen, dass Verschwörungsdenker nur allzu oftantijüdische Stereotypen verwendet haben und sogar fürVerharmlosung des Holocausts verurteilt wurden. Nach dem 7. Oktober hat die Zahl der antisemitischenVorfälle noch weiter zugenommen.

Das jüngste Aufflackern des Antisemitismus steht im Zusammenhang mit der Explosion der Gewalt imNahen Osten. Mit Entsetzen haben wir den Terroranschlag der Hamas am7. Oktober verfolgt. Und wir verabscheuen die große Zahlziviler Todesopfer in Gaza.

Aber liebe Leute, die israelische Regierung zu kritisieren ist kein Antisemitismus.Aber jüdische Menschen für die Handlungen dieserRegierung verantwortlich zu machen, nur weil sie Juden sind, ist Antisemitismus. Jüdische Menschen zu belästigen,sie zu beschimpfen oder sogar körperlich anzugreifen, ist antisemitisch und strafbar. Wir stehen festfür Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit, aber wirakzeptieren keinen Antisemitismus.

Wir Bürgermeister schreiben diesen Brief nicht nur als Autoritätspersonen undGesetzesvollstrecker. Wir schreiben diesen Brief auch als die ersten Bürger unsererGemeinden. In dieser Rolle appellieren wir an unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger,achtsam miteinander umzugehen. Die Grenzen des Erlaubten nicht zu überschreiten. Wir bittenunsere Mitbürger, keine Slogans zu verwenden, die andere verletzen und einschüchtern.keine unangemessenen Vergleiche mit dem Holocaust oder dem Nationalsozialismusanzustellen, die Überlebende zutiefst verletzen. Wir melden uns zu Wort, wenn wirsehen oder von der Einschüchterung unserer jüdischen Mitbürger hören oder wennanderweitig moralische Grenzen überschritten werden, auch wenn dies nicht strafbar ist.

In vielen Gemeinden gibt es jüdische Menschen, oft mit Familienangehörigen in Israel, undPalästinenser, die in großer Angst um ihre Angehörigen leben, und andere, die sich starkdem Konflikt verpflichtet fühlen, die aber dennoch weiterhin miteinander zu tun haben.Manchmal trotz heftiger Meinungsverschiedenheiten.

Wir sind unglaublich stolz auf diese Bewohner. Sie säen Frieden in unserer Gesellschaft.Lassen Sie uns diesen zerbrechlichen Frieden nicht mit Füßen treten. Widersetzen wir uns weiterhinjeder Form von Diskriminierung und Rassismus.

In den gesamten Niederlanden gedenken wir am 4. Mai unserer Toten und feiern am 5. Mai unsereFreiheit. Wir rufen alle Einwohner auf,diese wichtige und wertvolle Tradition zu respektieren.

Nach diesem Appell möchte ich mit einem beeindruckenden Gedicht vonHind Joudah schließen. Sie wurde 1983 im AI-Bureij-Flüchtlingslager in Gazo geborenund schrieb das Gedicht “Dichterin in Zeiten des Krieges”.

Dichterin in Zeiten des Krieges

Was bedeutet es, in Zeiten des Krieges ein Dichter zu sein?Es bedeutet, sich zu entschuldigen…sich ausgiebig zu entschuldigenbei den verbrannten Bäumenbei den nestlosen Vögelnbei den zertrümmerten Granatenbei den langen Tränen auf den Straßenan die blassen Wangen der Kinder vor und nach dem Todzu den Gesichtern jeder traurigen oder ermordeten MutterWas bedeutet es, in Zeiten des Krieges sicher zu sein?Es bedeutet, sich zu schämenzu lächelnweil man warm istfür deinen sauberen Lehmfür deine faulen Stundenfür dein Gähnenfür deine Tasse Kaffeefür deinen tiefen Schlafdafür, dass du geliebte Menschen am Leben hastdafür, dass du einen vollen Magen hastdafür, dass du fließendes Wasser hastdafür, dass du sauberes Wasser hastdafür, dass du duschen darfstUnd dafür, dass ich überhaupt am Leben bin!Oh GottLass mich in Zeiten des Krieges kein Dichter sein

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