Bernd Weber, langjähriger Stadtpressesprecher, blickte auf die Partnerschaft mit Litauen zurück
Vor gut 30 Jahren, am 5. Juli 1993, traten zwei dunkelhaarige Männer, begleitet von einer jungen Frau, in mein Rathausbüro. Damals konnte ich noch nicht ahnen, welchen Einfluss dieser Besuch auf die Europaarbeit der Stadt und auch auf mich persönlich haben würde.
Der, nennen wir ihn „Virus Trakai“, steckte in der Folge hier bei uns und später auch in Borne und Bernburg unzählige Menschen an.
Sie verkauften freiwillig
- auf der Emsstraße Glöckchen aus Trakai, um den Erlös zu spenden,
- interessierten sich für litauisches Kunsthandwerk,
- hörten Vorträge von Nijole über Litauen,
- kochten oder backten litauische Cepelinai und Kibinai mit Grazina in der Volkshochschule,
- spendeten für soziale Einrichtungen und
- lernten Prasom, Aciu und I sveikata. (Die Eselsbrücke für Letzteres: Ist für den Kater danach)
Neben vielen Freundschaften entwickelte sich zwischen den Partnerstädten eine damals noch neue Form der Zusammenarbeit. Es entstand das von der EU-Kommission geförderte kommunale Netzwerk Bernburg, Borne, Rheine und Trakai.
Die in der Städtepartnerschaft engagierten Menschen erhielten für die in diesem Netzwerk geleistete Arbeit:
1996 die Europamedaille der EVP-Fraktion im Europaparlament,
1996 (im gleichen Jahr noch) die Europamedaille und 2015 den Europapreis des Instituts für europäische Partnerschaften und Internationale Zusammenarbeit in Bonn.
1999 die Goldenen Sterne der EU-Kommission im spanischen Bilbao für eine der 10 besten, von der EU-Kommission geförderten städtepartnerschaftlichen Begegnungen. Die mit Freunden aus Trakai gestaltete Begegnung war dem Jubiläum „350 Jahre Westfälischer Friede“ gewidmet. Peter Ebel war damals für uns in Bilbao!
2002 zeichnete der Europarat die Stadt Rheine mit dem Europa-Diplom,
2006 mit der Europa-Fahne und
2011 mit der Europaplakette aus.
Zum Teil vergleichbare Auszeichnungen erhielten auch unsere Partner für diese Zusammenarbeit.
Und noch: Gibt man im digitalen Archiv der Münsterländischen Volkszeitung das Stichwort „Trakai“ ein, so werden einem über 1.000 Berichte dazu angeboten.
Es muss also in diesen beiden Jahrzehnten viel Innovatives und Begeisterndes in dem kommunalen Netzwerk der Partnerstädte passiert sein!!
Aber warum waren es nun die Gespräche und Begegnungen mit BM Jonas Kriauciunas, dem Ratsvorsitzenden Vytautas Paskauskas und Nijole Miskinyte, Anfang Juli 1993, die den Anstoß zu dieser Entwicklung gaben?
Werfen wir einen Blick zurück in die davor liegende Zeit:
In Rheine erkannte man schon früh die Vorteile einer europäischen Zusammenarbeit. 1954 entstand hier die Kommunalgemeinschaft Rhein-Ems. Aus dieser entwickelte sich die EUREGIO, damals die erste grenzüberschreitende Region in ganz Europa.
Ab 1974 fand eine von der EUREGIO initiiert „Abstimmung mit Füßen“ über die deutsch-niederländische Städtepartnerschaft mit Borne statt. Vereine, Verbände, Organisationen aus der gesamten Stadtgemeinschaft, Schüler, Jugendliche, Sportler und Senioren fanden schon vor der offiziell 1983 geschlossenen Städtepartnerschaft zwischen Borne und Rheine zusammen.
Anfang der 1980er Jahre lenkten Rheinenser den Blick nach Osten. Die Polen litten unter Not und Elend. Ob der Streiks und der Demokratiebestrebungen herrschte dort das Kriegsrecht.
Das DRK-Rheine leitete 1981 zusammen mit dem internationalen Roten Kreuz Hilfsmaßnahmen für Polen ein. Bis zum Sommer 1994 summierte sich die Zahl der Hilfstransporte nach Polen auf 121!
Beim Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michel Gorbatschow im Juni 1989 in Bonn galt der Kalte Krieg überwindbar, der Wunsch nach der Gestaltung eines „Europäischen Hauses“ kam auf und die Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents schien erreichbar.
In diese Stimmung hinein entstand im November 1990, kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands und noch vor der Auflösung der ehemaligen UDSSR auch in Rheine die Überlegung, in Ländern der UDSSR Zeichen der Hilfe und Freundschaft zu setzen. Aus der 1981 gestarteten „Polenhilfe“ entstand der Arbeitskreis „Osteuropahilfe“. Hilfstransporte führten nun auch nach Minsk, Iwanow Frankiwsk und Vilnius.
Die inzwischen verstorbenen Pfarrer Ludger Kleinhans und Günter (Charly) Hillebrandt knüpften mit Michel Reiske die ersten Kontakte.
Über den damals einzigen Dominikaner Pater in Litauen, Jonas Grigaitis, führte im März 1991 ihr Weg zu Monsignore Vytautas Rukas in Trakai. Der Grundstein für die sich entwickelnden Kontakte zwischen Trakai und Rheine wurde aber erst beim zweiten Hilfstransport im Mai 1991 gelegt.
Insgesamt 10 Hilfstransporte erreichten zwischen März 1991 und Sommer 1994 die Stadt Trakai. Sie wurden vornehmlich von den Kirchengemeinden St. Marien und Herz-Jesu koordiniert. Sie unterstützten in Trakai damit im Wesentlichen die Kirchengemeinde St. Marien, das Krankenhaus und das Mokyklas-Internat.
Die ersten vier Austausche zwischen Jugendlichen aus Trakai und Rheine fanden zwischen Juni 1992 und Sommer 1994 statt.
Im Frühjahr 1992 schrieb übrigens die damalige Trakaier Bürgermeisterin Joana Katiniene an Bürgermeister Günter Thum, dass sich die Stadt Trakai sehr freuen würde, „mit Rheine die Freundschaft in Kultur, Bildung und Medizin anknüpfen zu können“.
Daraufhin wurde ich von Herrn Thum gebeten, eine Einladung ins Rathaus für die damalige Trakaier Bürgermeisterin zu formulieren. Ich schrieb also „Frau Bürgermeisterin Joana Katiniene, Vytautogatve, Trakai/Lettland“ – Lettland! Sie ahnen, damals stand Trakai noch nicht ganz oben auf meiner Agenda! Und das war denn auch wohl der gröbste Schnitzer, den ich mir in der Zusammenarbeit mit Trakai erlaubte. Aber – die Einladung kam trotzdem an.
Der Besuch von Bürgermeisterin Joana Katiniene fand dann im Juli 1992 statt, aber wirklich „Grundlegendes für eine Städtepartnerschaft“ brachte der Besuch nicht.
Schalten wir von 1992 noch einmal zwei Jahre zurück:
Nach der Maueröffnung 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 hatte die damals beginnende und sogleich überschäumende Städtepartnerschaft mit Bernburg uns fest im Griff!
Insbesondere Dr. Janning weiß davon zu erzählen!
Und beim offiziellen Abschluss der deutsch/deutschen Städtepartnerschaft hörten wir von den osteuropäischen Partnern, dass man, wie Bernburg, auch gerne so einen „großen Bruder“ hätte, der beim Aufbau demokratischer Strukturen helfen könne.
Im November 1991 luden Bürgermeister Günter Thum und Stadtdirektor Clemens Ricken daher zum „Treffpunkt Europa“ nach Rheine ein. In der damals noch neuen Stadthalle stellten sich Handel, Handwerk, Industrie und Dienstleistungen, der Deutsche Gewerkschaftsbund, das Arbeitsamt, das Städtepartnerschaftskomitee und der Verkehrsverein Rheine einem breiten Publikum vor. Und inmitten dieser Ausstellung gab es an zwei Tagen eine Konferenz mit Gästen aus Bernburg, Borne, Elblag und Tarnowski Gory in Polen, Chomotov im heutigen Tschechien, Mako in Ungarn und La Rochelle in Frankreich.
Die Erwartungen an eine kommunale und wirtschaftliche Zusammenarbeit waren und blieben hoch, denn im Nachgang durfte ich mit Bürgermeister Günter Thum auch noch die Partnerstädte Bernburgs in Polen und im heutigen Tschechien besuchen. Aber all diese Wünsche und Gespräche blieben auf einer Metaebene, konkrete Projekte, an denen man gemeinsam arbeiten konnte schlug man jedoch nicht vor. Es blieb bei den von uns durchaus ernst gemeinten Angeboten an die Osteuropäischen Partner. Die von uns ausgestreckte Hand nahmen diese aber in der Folgezeit nicht an.
Und dann kam dieser Bürgermeister aus Trakai, Jonas Kriauciunas, mit seinen ganz konkreten Vorstellungen und dem eigens mitgebrachten Dienstsiegel. Und dieses Siegel war, wie er damals sagte, das erste Mal im europäischen Ausland. „Wenn ich zurück nach Trakai fahre, brauche ich einen mit Rheine unterschriebenen Vertrag“, so ähnlich klangen damals seine Worte.
Es folgten zwei Tage mit intensiven Gesprächen, in denen die Schwerpunkte der gewünschten Zusammenarbeit deutlich wurden. – Und dann machten Jonas Kriauciunas und Vytautas Paskauskas das, was alle „Oberhäupter“ nach solchen Gesprächen machen, sie überließen Nijole und mir die Formulierung des Vertrages, der dann am 8. Juli (ohne Ratsbeschluss) von Günter Thum, Clemens Ricken, Jonas Kriauciunas und Vytautas Paskauskas unterzeichnet wurde.
Darin vereinbart wurde:
- Die Unterstützung beim Bau des Jugendbegeg- nungszentrums in Trakai;
- eine Beratungshilfe für die Kommunale Selbst- verwaltung in Trakai;
- Hilfe bei Umwelt- und Energieprojekten;
- Beratungshilfe bei EU-Förderprogrammen und
- die Förderung der Begegnung zwischen den Menschen beider Städte.
Zurück nach Trakai fuhr dann die kleine Gruppe mit zwei in Rheine gekauften Autos. Die Wahl des Autos vom leider schon verstorbenen Vytautas Paskauskas fiel dabei auf einen Opel Manta, was dann zu einem regen Austausch von Witzen führte.
Aufbauend auf diesen von Jonas Kriauciunas initiierten und am 8. Juli 1993 geschlossenen Vertrag wurden bei meinem ersten Besuch in Litauen am 20.10.1993 ganz konkrete Projekte vereinbart.
Und unmittelbar danach folgten „Schlag auf Schlag“ die Arbeitsgespräche mit Unternehmern, Vertretern der Stadt- und Rajonverwaltung, der Tourist-Information Trakai sowie des historischen Nationalparks.
Von Ende Oktober 93 bis Mitte Januar 94 kamen gleich zwei Unternehmergruppen und zwei Gruppen aus der Verwaltung nach Rheine. Die Kontakte zwischen Unternehmen, die Abfallentsorgung und die Tourismusförderung standen dabei im Mittelpunkt.
Bereits am 06. Januar 1994 schlug die Geburtsstunde der CHARIOT-Projekte in einem Gespräch mit Herrn Gänzler, einem Vertreter des Rates der Gemeinden und Regionen Europas aus Bonn.
Die von 1994 bis 1998 bearbeiteten CHARIOT-Projekte „Natur- und umweltfreundlicher Tourismus für Trakai“ und „Verkehr als Attraktion – Umweltfreundliche Transportketten für Trakai“ schufen das kommunale Netzwerk der Partnerstädte Bernburg, Borne, Rheine und Trakai. Das damalige EU-Förderprogramm forderte zwei Teilnehmer aus Westeuropa, einen Teilnehmer aus einem Ziel-1-Gebiet und einen Osteuropäischen Partnern.
Neben den zu beratenden Touristischen Inhalten boten diese EU-geförderten Treffen (manchmal erst am späten Abend oder vor bzw. zwischen den Treffen) auch die Möglichkeit, die für Trakai wichtigen Sozialen Themen anzugehen, die später sogar die Zusammenarbeit dominieren sollten.
Es folgten unzählige Begegnungen, die der Tourismusförderung in Trakai dienten. Bis zu 70 Fachleute aus den Partnerstädten und darüber hinaus waren an den beiden Projekten beteiligt.
Über das daneben entstandene Altenzentrum Trakai, das Altenheim in Ciziunai, die Behindertenwerkstatt, die lange Geschichte des Kinderheimes oder die Landschaftspflegeplanungen für Trakai durch engagierte junge Studierende der Fachhochschule Anhalt könnte man jeweils abendfüllende Vorträge halten.
Die Projekte alle hatten eines gemeinsam:
Sie brachten die Menschen aus den Partnerstädten zusammen,
sie lernten uns gegenseitig besser zu verstehen,
sie führten so zu einem Wissenstransfer in beide Richtungen,
sie schufen Vertrauen und Freundschaften.
Viele Menschen haben an dieser erfolgreichen Arbeit mitgewirkt, haben sie mit öffentlichen Geldern und Spenden unterstützt. Der Rat der Stadt stellte von 1994 bis 2004 für die CHARIOT-Projekte rd. 220.000 € zur Verfügung. Die privaten Spenden betrugen im gleichen Zeitraum sogar 266.000 €.
Für all das, hast Du lieber Jonas Kriauciunas, durch Deine klaren Vorstellungen, durch Deinen festen Willen und durch die von Dir grundgelegten Strukturen den Weg bereitet. Dafür bin ich, sind wir Dir heute in besonderem Maße dankbar.
Aber was wäre aus diesen Ideen, diesem Vertrag, aus diesen von Jonas geschaffenen Strukturen geworden, wenn wir Dich, liebe Nijole, nicht gehabt hätten. Du hast durch Deine Übersetzungen die erfolgreiche Zusammenarbeit erst möglich gemacht. Grenzen für Deine Arbeit kanntest Du nicht. Du dolmetschtest vom frühen Morgen bis zum späten Abend. – Und wenn, wie in einem Fall ein Vertreter der Staatskanzlei NRW Probleme mit seiner Dolmetscherin hatte, sprangst Du nach einer langen Tagesarbeit auch dort noch ein.
Nijole dolmetschte auf
Müllkippen, in Rohbauten, in Jugend-, Behinderten- und Altenheimen,
im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen für Pflegerinnen in der Alten- und Behindertenhilfe, (und wurde selbst dabei zu einer guten Pflegerin)
bei der Beratung von pädagogischen Konzepten in der Heimerziehung für Kinder,
auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin, in Gesprächen mit dem Deutschen Herbergsverband,
bei Herstellern und Nutzern von TschTschu-Bahnen in München und auf Rügen.
Das Besondere an Nijole war dabei: Sie übersetzte nicht nur die Sprache, Sie vermittelte uns auch das Denken und Fühlen unseres Gesprächspartners.
Nijole war daher nicht nur aktiv in solchen Gesprächen dabei, sie half auch, diese vor- und nachzubereiten und sie so zu führen, das auch das Denken und Fühlen der Partner berücksichtigt wurde. Die Telefonate, Faxe, Mails und Stunden, die wir in diesem Zusammenhang verbracht haben, sind nicht mehr zu zählen.
Nijole, Du hast Dir durch Deine „grenzenlose“ Arbeit, Deine Verlässlichkeit, Deine Menschenkenntnis, aber auch durch Dein liebevolles, verständnisvolles Wesen eine hohe Anerkennung in den Partnerstädten erarbeitet. Du hast hier viele Freunde gewonnen, die Dich gerne auch in ihrem Zuhause aufgenommen haben, von denen leider schon sehr viele verstorben sind. Ich denke an Ludger und Elisabeth Meier, Peter Leroy, Albert und Ursula Möllerfrerk, Irene Berning, Bernd Bietmann, Irene Reddmann, Doris Henneke, Herman Ziel und Henny Baartmann aus Borne oder auch Volker Krause aus Bernburg, um nur einige davon zu nennen. Andere, wie Herbert Henneke und Uwe Hennig aus Bernburg sind durch aktuelle Krankenhausaufenthalte heute verhindert.
Liebe Freunde der Städtepartnerschaft, hin und wieder hatte ich den Eindruck:
Nijole, steht sinnbildlich für die Städtepartnerschaft,
Nijole war die gute Seele in dieser europäischen Zusammenarbeit!
Liebe Nijole, Du hast Dir in all den Jahren, in all den Projekten, in all den Begegnungen unschätzbare Verdienste erworben.
Liebe Nijole, ich bin mir sicher, ich darf Dir für Dein unermüdliches Engagement über nahezu 30 Jahre, für Deine liebevolle Art, für Deine Freundschaft im Namen aller Freunde der Städtepartnerschaft recht herzlich danken.
Zum Schluss möchte ich mich ganz persönlich bei Nijole und Jonas, bei all den Menschen in den Partnerstädten bedanken, mit denen ich in all den Jahren zusammenarbeiten und Freundschaften schließen konnte. Ich bedanke mich bei den Verwaltungsleitungen und dem Rat der Stadt dafür, dass ich diese wohl einmalige Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands und der Öffnung hin zu den Ländern Osteuropas mitgestalten und Erfahrungen im europäischen Ausland sammeln konnte, die mich in meiner Europaarbeit bis heute prägen.
Aciu, Hartelijk Dank, Obrigado, ein herzliches Dankeschön !!
or gut 30 Jahren, am 5. Juli 1993, traten zwei dunkelhaarige Männer, begleitet von einer jungen Frau, in mein Rathausbüro. Damals konnte ich noch nicht ahnen, welchen Einfluss dieser Besuch auf die Europaarbeit der Stadt und auch auf mich persönlich haben würde.
Der, nennen wir ihn „Virus Trakai“, steckte in der Folge hier bei uns und später auch in Borne und Bernburg unzählige Menschen an.
Sie verkauften freiwillig
- auf der Emsstraße Glöckchen aus Trakai, um den Erlös zu spenden,
- interessierten sich für litauisches Kunsthandwerk,
- hörten Vorträge von Nijole über Litauen,
- kochten oder backten litauische Cepelinai und Kibinai mit Grazina in der Volkshochschule,
- spendeten für soziale Einrichtungen und
- lernten Prasom, Aciu und I sveikata. (Die Eselsbrücke für Letzteres: Ist für den Kater danach)
Neben vielen Freundschaften entwickelte sich zwischen den Partnerstädten eine damals noch neue Form der Zusammenarbeit. Es entstand das von der EU-Kommission geförderte kommunale Netzwerk Bernburg, Borne, Rheine und Trakai.
Die in der Städtepartnerschaft engagierten Menschen erhielten für die in diesem Netzwerk geleistete Arbeit:
1996 die Europamedaille der EVP-Fraktion im Europaparlament,
1996 (im gleichen Jahr noch) die Europamedaille und 2015 den Europapreis des Instituts für europäische Partnerschaften und Internationale Zusammenarbeit in Bonn.
1999 die Goldenen Sterne der EU-Kommission im spanischen Bilbao für eine der 10 besten, von der EU-Kommission geförderten städtepartnerschaftlichen Begegnungen. Die mit Freunden aus Trakai gestaltete Begegnung war dem Jubiläum „350 Jahre Westfälischer Friede“ gewidmet. Peter Ebel war damals für uns in Bilbao!
2002 zeichnete der Europarat die Stadt Rheine mit dem Europa-Diplom,
2006 mit der Europa-Fahne und
2011 mit der Europaplakette aus.
Zum Teil vergleichbare Auszeichnungen erhielten auch unsere Partner für diese Zusammenarbeit.
Und noch: Gibt man im digitalen Archiv der Münsterländischen Volkszeitung das Stichwort „Trakai“ ein, so werden einem über 1.000 Berichte dazu angeboten.
Es muss also in diesen beiden Jahrzehnten viel Innovatives und Begeisterndes in dem kommunalen Netzwerk der Partnerstädte passiert sein!!
Aber warum waren es nun die Gespräche und Begegnungen mit BM Jonas Kriauciunas, dem Ratsvorsitzenden Vytautas Paskauskas und Nijole Miskinyte, Anfang Juli 1993, die den Anstoß zu dieser Entwicklung gaben?
Werfen wir einen Blick zurück in die davor liegende Zeit:
In Rheine erkannte man schon früh die Vorteile einer europäischen Zusammenarbeit. 1954 entstand hier die Kommunalgemeinschaft Rhein-Ems. Aus dieser entwickelte sich die EUREGIO, damals die erste grenzüberschreitende Region in ganz Europa.
Ab 1974 fand eine von der EUREGIO initiiert „Abstimmung mit Füßen“ über die deutsch-niederländische Städtepartnerschaft mit Borne statt. Vereine, Verbände, Organisationen aus der gesamten Stadtgemeinschaft, Schüler, Jugendliche, Sportler und Senioren fanden schon vor der offiziell 1983 geschlossenen Städtepartnerschaft zwischen Borne und Rheine zusammen.
Anfang der 1980er Jahre lenkten Rheinenser den Blick nach Osten. Die Polen litten unter Not und Elend. Ob der Streiks und der Demokratiebestrebungen herrschte dort das Kriegsrecht.
Das DRK-Rheine leitete 1981 zusammen mit dem internationalen Roten Kreuz Hilfsmaßnahmen für Polen ein. Bis zum Sommer 1994 summierte sich die Zahl der Hilfstransporte nach Polen auf 121!
Beim Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michel Gorbatschow im Juni 1989 in Bonn galt der Kalte Krieg überwindbar, der Wunsch nach der Gestaltung eines „Europäischen Hauses“ kam auf und die Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents schien erreichbar.
In diese Stimmung hinein entstand im November 1990, kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands und noch vor der Auflösung der ehemaligen UDSSR auch in Rheine die Überlegung, in Ländern der UDSSR Zeichen der Hilfe und Freundschaft zu setzen. Aus der 1981 gestarteten „Polenhilfe“ entstand der Arbeitskreis „Osteuropahilfe“. Hilfstransporte führten nun auch nach Minsk, Iwanow Frankiwsk und Vilnius.
Die inzwischen verstorbenen Pfarrer Ludger Kleinhans und Günter (Charly) Hillebrandt knüpften mit Michel Reiske die ersten Kontakte.
Über den damals einzigen Dominikaner Pater in Litauen, Jonas Grigaitis, führte im März 1991 ihr Weg zu Monsignore Vytautas Rukas in Trakai. Der Grundstein für die sich entwickelnden Kontakte zwischen Trakai und Rheine wurde aber erst beim zweiten Hilfstransport im Mai 1991 gelegt.
Insgesamt 10 Hilfstransporte erreichten zwischen März 1991 und Sommer 1994 die Stadt Trakai. Sie wurden vornehmlich von den Kirchengemeinden St. Marien und Herz-Jesu koordiniert. Sie unterstützten in Trakai damit im Wesentlichen die Kirchengemeinde St. Marien, das Krankenhaus und das Mokyklas-Internat.
Die ersten vier Austausche zwischen Jugendlichen aus Trakai und Rheine fanden zwischen Juni 1992 und Sommer 1994 statt.
Im Frühjahr 1992 schrieb übrigens die damalige Trakaier Bürgermeisterin Joana Katiniene an Bürgermeister Günter Thum, dass sich die Stadt Trakai sehr freuen würde, „mit Rheine die Freundschaft in Kultur, Bildung und Medizin anknüpfen zu können“.
Daraufhin wurde ich von Herrn Thum gebeten, eine Einladung ins Rathaus für die damalige Trakaier Bürgermeisterin zu formulieren. Ich schrieb also „Frau Bürgermeisterin Joana Katiniene, Vytautogatve, Trakai/Lettland“ – Lettland! Sie ahnen, damals stand Trakai noch nicht ganz oben auf meiner Agenda! Und das war denn auch wohl der gröbste Schnitzer, den ich mir in der Zusammenarbeit mit Trakai erlaubte. Aber – die Einladung kam trotzdem an.
Der Besuch von Bürgermeisterin Joana Katiniene fand dann im Juli 1992 statt, aber wirklich „Grundlegendes für eine Städtepartnerschaft“ brachte der Besuch nicht.
Schalten wir von 1992 noch einmal zwei Jahre zurück:
Nach der Maueröffnung 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 hatte die damals beginnende und sogleich überschäumende Städtepartnerschaft mit Bernburg uns fest im Griff!
Insbesondere Dr. Janning weiß davon zu erzählen!
Und beim offiziellen Abschluss der deutsch/deutschen Städtepartnerschaft hörten wir von den osteuropäischen Partnern, dass man, wie Bernburg, auch gerne so einen „großen Bruder“ hätte, der beim Aufbau demokratischer Strukturen helfen könne.
Im November 1991 luden Bürgermeister Günter Thum und Stadtdirektor Clemens Ricken daher zum „Treffpunkt Europa“ nach Rheine ein. In der damals noch neuen Stadthalle stellten sich Handel, Handwerk, Industrie und Dienstleistungen, der Deutsche Gewerkschaftsbund, das Arbeitsamt, das Städtepartnerschaftskomitee und der Verkehrsverein Rheine einem breiten Publikum vor. Und inmitten dieser Ausstellung gab es an zwei Tagen eine Konferenz mit Gästen aus Bernburg, Borne, Elblag und Tarnowski Gory in Polen, Chomotov im heutigen Tschechien, Mako in Ungarn und La Rochelle in Frankreich.
Die Erwartungen an eine kommunale und wirtschaftliche Zusammenarbeit waren und blieben hoch, denn im Nachgang durfte ich mit Bürgermeister Günter Thum auch noch die Partnerstädte Bernburgs in Polen und im heutigen Tschechien besuchen. Aber all diese Wünsche und Gespräche blieben auf einer Metaebene, konkrete Projekte, an denen man gemeinsam arbeiten konnte schlug man jedoch nicht vor. Es blieb bei den von uns durchaus ernst gemeinten Angeboten an die Osteuropäischen Partner. Die von uns ausgestreckte Hand nahmen diese aber in der Folgezeit nicht an.
Und dann kam dieser Bürgermeister aus Trakai, Jonas Kriauciunas, mit seinen ganz konkreten Vorstellungen und dem eigens mitgebrachten Dienstsiegel. Und dieses Siegel war, wie er damals sagte, das erste Mal im europäischen Ausland. „Wenn ich zurück nach Trakai fahre, brauche ich einen mit Rheine unterschriebenen Vertrag“, so ähnlich klangen damals seine Worte.
Es folgten zwei Tage mit intensiven Gesprächen, in denen die Schwerpunkte der gewünschten Zusammenarbeit deutlich wurden. – Und dann machten Jonas Kriauciunas und Vytautas Paskauskas das, was alle „Oberhäupter“ nach solchen Gesprächen machen, sie überließen Nijole und mir die Formulierung des Vertrages, der dann am 8. Juli (ohne Ratsbeschluss) von Günter Thum, Clemens Ricken, Jonas Kriauciunas und Vytautas Paskauskas unterzeichnet wurde.
Darin vereinbart wurde:
- Die Unterstützung beim Bau des Jugendbegeg- nungszentrums in Trakai;
- eine Beratungshilfe für die Kommunale Selbst- verwaltung in Trakai;
- Hilfe bei Umwelt- und Energieprojekten;
- Beratungshilfe bei EU-Förderprogrammen und
- die Förderung der Begegnung zwischen den Menschen beider Städte.
Zurück nach Trakai fuhr dann die kleine Gruppe mit zwei in Rheine gekauften Autos. Die Wahl des Autos vom leider schon verstorbenen Vytautas Paskauskas fiel dabei auf einen Opel Manta, was dann zu einem regen Austausch von Witzen führte.
Aufbauend auf diesen von Jonas Kriauciunas initiierten und am 8. Juli 1993 geschlossenen Vertrag wurden bei meinem ersten Besuch in Litauen am 20.10.1993 ganz konkrete Projekte vereinbart.
Und unmittelbar danach folgten „Schlag auf Schlag“ die Arbeitsgespräche mit Unternehmern, Vertretern der Stadt- und Rajonverwaltung, der Tourist-Information Trakai sowie des historischen Nationalparks.
Von Ende Oktober 93 bis Mitte Januar 94 kamen gleich zwei Unternehmergruppen und zwei Gruppen aus der Verwaltung nach Rheine. Die Kontakte zwischen Unternehmen, die Abfallentsorgung und die Tourismusförderung standen dabei im Mittelpunkt.
Bereits am 06. Januar 1994 schlug die Geburtsstunde der CHARIOT-Projekte in einem Gespräch mit Herrn Gänzler, einem Vertreter des Rates der Gemeinden und Regionen Europas aus Bonn.
Die von 1994 bis 1998 bearbeiteten CHARIOT-Projekte „Natur- und umweltfreundlicher Tourismus für Trakai“ und „Verkehr als Attraktion – Umweltfreundliche Transportketten für Trakai“ schufen das kommunale Netzwerk der Partnerstädte Bernburg, Borne, Rheine und Trakai. Das damalige EU-Förderprogramm forderte zwei Teilnehmer aus Westeuropa, einen Teilnehmer aus einem Ziel-1-Gebiet und einen Osteuropäischen Partnern.
Neben den zu beratenden Touristischen Inhalten boten diese EU-geförderten Treffen (manchmal erst am späten Abend oder vor bzw. zwischen den Treffen) auch die Möglichkeit, die für Trakai wichtigen Sozialen Themen anzugehen, die später sogar die Zusammenarbeit dominieren sollten.
Es folgten unzählige Begegnungen, die der Tourismusförderung in Trakai dienten. Bis zu 70 Fachleute aus den Partnerstädten und darüber hinaus waren an den beiden Projekten beteiligt.
Über das daneben entstandene Altenzentrum Trakai, das Altenheim in Ciziunai, die Behindertenwerkstatt, die lange Geschichte des Kinderheimes oder die Landschaftspflegeplanungen für Trakai durch engagierte junge Studierende der Fachhochschule Anhalt könnte man jeweils abendfüllende Vorträge halten.
Die Projekte alle hatten eines gemeinsam:
Sie brachten die Menschen aus den Partnerstädten zusammen,
sie lernten uns gegenseitig besser zu verstehen,
sie führten so zu einem Wissenstransfer in beide Richtungen,
sie schufen Vertrauen und Freundschaften.
Viele Menschen haben an dieser erfolgreichen Arbeit mitgewirkt, haben sie mit öffentlichen Geldern und Spenden unterstützt. Der Rat der Stadt stellte von 1994 bis 2004 für die CHARIOT-Projekte rd. 220.000 € zur Verfügung. Die privaten Spenden betrugen im gleichen Zeitraum sogar 266.000 €.
Für all das, hast Du lieber Jonas Kriauciunas, durch Deine klaren Vorstellungen, durch Deinen festen Willen und durch die von Dir grundgelegten Strukturen den Weg bereitet. Dafür bin ich, sind wir Dir heute in besonderem Maße dankbar.
Aber was wäre aus diesen Ideen, diesem Vertrag, aus diesen von Jonas geschaffenen Strukturen geworden, wenn wir Dich, liebe Nijole, nicht gehabt hätten. Du hast durch Deine Übersetzungen die erfolgreiche Zusammenarbeit erst möglich gemacht. Grenzen für Deine Arbeit kanntest Du nicht. Du dolmetschtest vom frühen Morgen bis zum späten Abend. – Und wenn, wie in einem Fall ein Vertreter der Staatskanzlei NRW Probleme mit seiner Dolmetscherin hatte, sprangst Du nach einer langen Tagesarbeit auch dort noch ein.
Nijole dolmetschte auf
Müllkippen, in Rohbauten, in Jugend-, Behinderten- und Altenheimen,
im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen für Pflegerinnen in der Alten- und Behindertenhilfe, (und wurde selbst dabei zu einer guten Pflegerin)
bei der Beratung von pädagogischen Konzepten in der Heimerziehung für Kinder,
auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin, in Gesprächen mit dem Deutschen Herbergsverband,
bei Herstellern und Nutzern von TschTschu-Bahnen in München und auf Rügen.
Das Besondere an Nijole war dabei: Sie übersetzte nicht nur die Sprache, Sie vermittelte uns auch das Denken und Fühlen unseres Gesprächspartners.
Nijole war daher nicht nur aktiv in solchen Gesprächen dabei, sie half auch, diese vor- und nachzubereiten und sie so zu führen, das auch das Denken und Fühlen der Partner berücksichtigt wurde. Die Telefonate, Faxe, Mails und Stunden, die wir in diesem Zusammenhang verbracht haben, sind nicht mehr zu zählen.
Nijole, Du hast Dir durch Deine „grenzenlose“ Arbeit, Deine Verlässlichkeit, Deine Menschenkenntnis, aber auch durch Dein liebevolles, verständnisvolles Wesen eine hohe Anerkennung in den Partnerstädten erarbeitet. Du hast hier viele Freunde gewonnen, die Dich gerne auch in ihrem Zuhause aufgenommen haben, von denen leider schon sehr viele verstorben sind. Ich denke an Ludger und Elisabeth Meier, Peter Leroy, Albert und Ursula Möllerfrerk, Irene Berning, Bernd Bietmann, Irene Reddmann, Doris Henneke, Herman Ziel und Henny Baartmann aus Borne oder auch Volker Krause aus Bernburg, um nur einige davon zu nennen. Andere, wie Herbert Henneke und Uwe Hennig aus Bernburg sind durch aktuelle Krankenhausaufenthalte heute verhindert.
Liebe Freunde der Städtepartnerschaft, hin und wieder hatte ich den Eindruck:
Nijole, steht sinnbildlich für die Städtepartnerschaft,
Nijole war die gute Seele in dieser europäischen Zusammenarbeit!
Liebe Nijole, Du hast Dir in all den Jahren, in all den Projekten, in all den Begegnungen unschätzbare Verdienste erworben.
Liebe Nijole, ich bin mir sicher, ich darf Dir für Dein unermüdliches Engagement über nahezu 30 Jahre, für Deine liebevolle Art, für Deine Freundschaft im Namen aller Freunde der Städtepartnerschaft recht herzlich danken.
Zum Schluss möchte ich mich ganz persönlich bei Nijole und Jonas, bei all den Menschen in den Partnerstädten bedanken, mit denen ich in all den Jahren zusammenarbeiten und Freundschaften schließen konnte. Ich bedanke mich bei den Verwaltungsleitungen und dem Rat der Stadt dafür, dass ich diese wohl einmalige Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands und der Öffnung hin zu den Ländern Osteuropas mitgestalten und Erfahrungen im europäischen Ausland sammeln konnte, die mich in meiner Europaarbeit bis heute prägen.
Aciu, Hartelijk Dank, Obrigado, ein herzliches Dankeschön !!