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Partnerschaft mit einer Stadt in der Ukraine?

Folgende Stellungnahme zur Diskussion über eine Partnerschaft mit einer Stadt in der Ukraine wurde jetzt an den Bürgermeister und an die Fraktionen im Rat der Stadt Rheine geschickt:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Fraktionsvorsitzende,
der Vorstand des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaften der Stadt Rheine hat in seiner Sitzung am 15. November 2022 über den öffentlich vorgetragenen Wunsch nach einer deutsch-ukrainischen Städtepartnerschaft beraten.


Die Entscheidung über eine weitere Partnerschaft obliegt dem Rat der Stadt. Dabei sollten Sie die durch bestehende Städtepartnerschaften geschaffenen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten sowie die von uns in vielen Jahren gesammelten Erfahrungen berücksichtigen. Diese haben wir in der nachfolgenden, gemeinsam getragenen Stellungnahme zusammengefasst:

  1. Die Begegnungen von Menschen im Rahmen europäischer Städtepartnerschaften ist zu begrüßen, weil sie es in besonderer Weise ermöglichen, internationale Erfahrungen zu sammeln, Freundschaften zu begründen und den Zusammenhalt in Europa zu fördern. In Städtepartnerschaften stand und steht immer die Begegnung der Menschen im Vordergrund. Eine jetzt auch öffentlich geforderte deutsch-ukrainische Städtepartnerschaft kann aufgrund des russischen Angriffskrieges weder aktuell eine Begegnung der Menschen ermöglichen noch der Ukraine die dringend benötigte Unterstützung für den bevorstehenden Winter zukommen lassen.
  2. Für die aktuell dringend notwendige Hilfeleistung stehen, auch ohne eine offizielle Partnerschaft, inzwischen bewährte städtepartnerschaftlich und bürgerschaftlich eröffnete Wege zur Verfügung.
  3. Eine deutsch-ukrainische Städtepartnerschaft könnte ihren Wert erst in einer längerfristigen Betrachtung entwickeln. So könnte die Begleitung der Ukrainer auf dem “Weg nach Europa” eine sinnvolle Zielsetzung sein, so wie wir es europäisch gefördert in den 1990er Jahren in dem kommunalen Netzwerk Bernburg, Borne, Rheine und Trakai praktiziert haben. Über die gemeinsamen
    Bemühungen zum Klimaschutz reihte sich die Partnerstadt Leiria in den 2000er Jahren in das Netzwerk ein. Zahlreiche Menschen aus den Partnerstädten waren dabei involviert.

  1. Auch wenn der Bundespräsident aktuell die Kommunen zu Städtepartnerschaften mit ukrainischen Partnern auffordert, scheint uns eine rein “nationale Initiative“ nicht mehr zeitgerecht. Wir spüren immer wieder, dass unabgestimmte deutsche Aktivitäten bei den europäischen Partnern zumindest zu Irritationen, wenn nicht sogar zu Ablehnungen führen. Bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung daher bitte auch, welche Gefühle und Reaktionen diese bei unseren Partnern in Bernburg, Borne, Leiria und Trakai auslösen könnten. Gerade auch, weil Trakai selbst schon eine Städtepartnerschaft mit der von den Initiatoren favorisierten Stadt Ivano Frankiwsk unterhält.

  1. Nicht nur die Netzwerkstelle Städtepartnerschaften NRW, sondern auch einschlägige Organisationen sehen die bilateralen Städtepartnerschaften seit Jahren eher rückläufig. Dagegen wächst die Zahl von multilateralen Städtepartner- und Projektpartnerschaften. Auch Städtenetzwerke mit Themen oder regionsbezogenen Ansätzen befinden sich danach im Aufwind. Das kommunale Netzwerk Rheine, Bernburg, Borne, Leiria und Trakai zählte in den 90er Jahren zu den ersten in Europa, war innovativ, wurde damals in den Projekten für Trakai gefördert und liegt noch heute voll im Trend der Entwicklung. Beispielhaft sind die gemeinsamen Klimaschutzprojekte in den vergangenen Jahren, die Jugendbegegnungen oder die aktuelle digitale Zusammenarbeit in dem Projekt „friendsineurope“.

  1. Der vom Städtepartnerschaftsverein eingeschlagene Weg unter dem Motto “Freunde helfen Freunde”, auf dem wir Spenden in Höhe von bislang 46.000 € als Hilfe für die Ukraine über die Partnerstadt Trakai zur Verfügung stellten, ist vor dem Hintergrund der genannten Argumente ein zeitgemäßer und innovativer Weg. Ebenfalls unterstützten wir gemeinsam mit der Stadt die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge durch die Partnerstadt Leiria.

  1. Der Rat der Stadt Rheine sollte daher statt einer zusätzlichen bilateralen Städtepartnerschaft das vorhandene kommunale Netzwerk Rheine, Bernburg, Borne, Leiria und Trakai stärken und motivieren, eine ukrainische Partnerstadt Trakais ins Netzwerk zu holen und auf dem Weg nach Europa zu begleiten. Dafür muss keine eigene Städtepartnerschaft zwischen Rheine und der ukrainischen Stadt abgeschlossen werden, könnte sich jedoch mittel- oder langfristig ergeben, wenn sich auch auf ukrainischer Seite ein bürgerschaftliches Engagement dafür entwickeln lässt.
  2. Vorgespräche dazu mit den Partnern in Bernburg, Borne, Leiria und Trakai sind allerdings notwendig und könnten zu einer bereichernden Aufgabe für die heute schon erfolgreiche Netzwerkarbeit führen.
  3. Wir geben dem Bürgermeister mit seiner öffentlichen Äußerung ausdrücklich recht: Ein rein „symbolischer“ Beschluss des Rates zu einer neuen Städtepartnerschaft reicht nicht aus. Wer eine solche kommunale europäische Zusammenarbeit will, muss auch die organisatorischen und finanziellen Ressourcen dafür zur Verfügung stellen.
    Wir hoffen auf Ihr Verständnis und setzten auf eine Berücksichtigung unserer Argumente bei Ihrer Entscheidungsfindung über ein weiteres städtepartnerschaftliches Engagement der Stadt.
    Mit besten Grüßen!

  4. Reiner Wellmann
    Vorsitzender