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„Lassen Sie die Kommunen nicht im Stich“

Dr. Marc Schrameyer

Ukraine-Krieg und Energiekrise: Dr. Peter Lüttmann und Dr. Marc Schrameyer fordern vom Land NRW Unterstützung bei der Unterbringung von Geflüchteten

Dr.Peter Lüttmann

Rheine. „Wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dem Kreis Steinfurt blicken mit großer Sorge auf die nächsten Monate“ – so steht es in einem an NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gerichteten Schreiben, das Dr. Peter Lüttmann und sein Pendant in Ibbenbüren Dr. Marc Schrameyer als Sprecher der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Kreis bereits am 5. September 2022 an die Staatskanzlei geschickt haben.

Der Grund: Energiekrise und Energieversorgung als Folge des Ukraine-Krieges seien derzeit medial so dominant, dass andere Themen aus dem Fokus gerieten. Insbesondere die Aufnahme aus der Ukraine geflüchteter Menschen – eine Aufgabe, die Städte und Gemeinden seit Monaten vor großer Herausforderungen stellt und weiter stellen wird. „Die Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine ist groß“, sagt Dr. Marc Schrameyer, „aber wir bewegen uns mittlerweile hart an der Grenze unserer Kapazitäten.“

Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befürchten, dass durch die schnelle Belegung der aus ihrer Sicht nicht ausreichenden Einrichtungen des Landes, sehr viele der noch zu erwartenden geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern auf die Kommunen verteilt werden müssen – ohne ausreichenden zeitlichen Vorlauf. „Die Unterbringungsmöglichkeiten in den Kommunen sind aber weitgehend ausgereizt“, sagt Dr. Peter Lüttmann. Deshalb sei der Zeitfaktor für die Städte und Gemeinden so wichtig, um überhaupt um eine realistische Chance auf Schaffung weiterer Kapazitäten zu ermöglichen. „Der Wohnungsmarkt ist bereits stark belastet, gerade in den Kommunen, die überproportional viele Menschen aus der Ukraine aufgenommen haben. Wir sehen uns da mittlerweile einer starken Konkurrenzsituation ausgesetzt.“ Turnhallen- oder Containerlösungen sollen nach Möglichkeit vermieden werden. „Wir sind alle zusammen in der Pflicht, den Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine zu uns flüchten, eine würdige Unterbringung zu ermöglichen.“

Deswegen fordern die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Kreises Steinfurt das Land NRW auf: „Lassen Sie die Kommunen nicht im Stich! Wir brauchen Ihre Unterstützung, denn wir können diese riesige Aufgabe nicht allein bewältigen.“ Man sehe das Bemühen des Landes, die Situation zu entschärfen, aber: „Es müssen auf Landesebene weitere Aufnahmekapazitäten geschaffen werden, um Städte und Gemeinden zu entlasten. Die Realität vor Ort muss endlich erkannt, und es muss entsprechend gehandelt werden, schnell und unbürokratisch“, erklären Dr. Lüttmann und Dr. Schrameyer unisono.

Der Wortlaut des Schreibens:

Ibbenbüren / Rheine, 5. September 2022
Herrn Ministerpräsident
Hendrik Wüst
Staatskanzlei des Landes NRW
Horionplatz 1
40213 Düsseldorf
Aktuelle Flüchtlingssituation in den Kommunen

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst,
durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erfährt das ukrainische Volk unermessliches Leid und die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, aber auch von
Bund, Land und Kommunen sind groß.
Gleichwohl stellen wir aktuell fest, dass das Thema Energieversorgung und -sicherheit medial so
präsent und dominant ist, dass andere Themen aus dem Fokus gelangen. So scheint es auch mit
der Situation der Flüchtlinge in vielen Kommunen zu sein. Man könnte den Eindruck gewinnen,
dass es für die Städte und Gemeinden kein Problem darstellt.
Im Vergleich zu 2015 sind die aktuellen Herausforderungen — für die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger — aber spürbar größer. Wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dem
Kreis Steinfurt blicken mit großer Sorge auf die nächsten Monate.
Aus diesem Grund schreiben wir Sie als Sprecher aller Bürgermeister(innen) im Kreis Steinfurt an,
weil wir mehr Unterstützung von Land und Bund brauchen.
Die Kapazität der Landesaufnahmeeinrichtungen ist in Anbetracht der Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) deutlich zu gering. Laut Prognosen für das Jahr 2022
wird mit bundesweit insgesamt 160.000 Asylantragsteller(inne)n gerechnet; das bedeutet alleine
für NRW 34.000 Asylleistungsbewerber(innen), die unterzubringen sind.
Zusätzlich erfolgt aktuell die Vorsprache von wöchentlich ca. 1.200 Schutzsuchenden aus der
Ukraine bei der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Bochum.
Wir befürchten, dass durch die schnelle Belegung der Einrichtungen des Landes ohne ausreichenden zeitlichen Vorlauf größere „Verteilungen“ auf die Kommunen erforderlich werden, wobei die
Unterbringungsmöglichkeiten der meisten Kommunen bereits jetzt ausgereizt sind.
Das begrüßenswerte private Engagement bei der Unterbringung von Geflüchteten lässt mit zunehmender Dauer des Krieges — was zu erwarten war — nach.
Der Bürgermeister



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Die Kommunen sind daher dringend darauf angewiesen, dass Zuweisungen mit einem großen
zeitlichen Vorlauf erfolgen, um eine realistische Chance auf Schaffung / Anmietung weiterer Kapazitäten zu ermöglichen.
Weiterhin ist eine Weiterleitung von Flüchtlingen, die nicht über die Landeserstaufnahmeeinrichtungen, sondern direkt in den Kommunen ankommen, an die LEA Bochum nur noch unter bestimmten Voraussetzungen möglich (Schreiben des MKJFGFI vom 26. August 2022). Unter anderem führt eine Versorgung mit Wohnraum (privat oder städtisch) zum Ausschluss der Weiterleitung.
In vielen Fällen ist eine Unterbringung in privatem Wohnraum (z. B. bei deutschen Familien) jedoch aus verschiedenen Gründen nicht dauerhaft möglich, so dass für diese Personen nach einer
gewissen Übergangszeit kommunale Unterkünfte benötigt werden.
Dieses führt dazu, dass Ukrainer(innen) von den Kommunen untergebracht werden müssen, obwohl Aufnahmequoten teilweise übererfüllt sind und keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr
bestehen. Hier muss aus unserer Sicht zukünftig die Möglichkeit der Weiterleitung an die LEA Bochum möglich sein, zumindest soweit noch keine intensive Integration (Schule, Kindergarten etc.)
erfolgt ist.
An dieser Stelle möchten wir weiterhin darauf hinweisen, dass die Verfahrensregelungen im Zusammenhang mit ukrainischen Flüchtlingen als „unglücklich“ angesehen wurden. Der Wechsel
vom AsylbLG zum SGB II zum 1. Juni 2022 verursachte doppelten Verwaltungsaufwand, welcher
vermeidbar gewesen wäre.
Im Rahmen der zeitnahen Ausstellung von Aufenthaltserlaubnissen für ukrainische Flüchtlinge
führten fehlende Durchführungshinweise / Leitlinien (z. B. zur Thematik der Wohnsitzauflage) zu
vermeidbarer Mehrarbeit der bereits stark belasteten Ausländerbehörden. Eine landesweit einheitliche Bearbeitung war nicht möglich.
Darüber hinaus schwindet derzeit die Solidarität in der Bevölkerung. Immer häufiger — gerade in
überproportional belasteten Kommunen — kommt es zu Konkurrenzsituationen in den Bereichen
Schule und Kindergarten sowie auf dem Wohnungsmarkt, der bereits stark belastet ist. Insbesondere bei der Betreuung ist zu hinterfragen, ob unser Qualitätsmaßstab aufgrund des Fachkräftemangels und begrenzter Unterbringungskapazitäten noch realisierbar ist.
Zudem arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Jahren im „Krisenmodus“ und sind stark
überlastet. Alle weiteren Maßnahmen müssen deshalb praktikabel und möglichst unbürokratisch
umsetzbar sein.
Wir sind uns im Klaren, dass auch das Land NRW sich nach Kräften bemüht, um die Lage zu entschärfen und zum Teil die Verantwortung auch beim Bund liegt. Wir erwarten aber, dass das Land
weitere, eigene Aufnahmekapazitäten schafft!
Mit diesem Schreiben weisen wir eindringlich auf die aktuelle Situation hin und fordern die volle
Solidarität von Land und Bund mit den Kommunen ein.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Marc Schrameyer Dr. Peter Lüttmann
Bürgermeister Bürgermeister
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stellvertretend für 24 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Kreis Steinfurt:
Dietrich Aden Sonja Schemmann
Bürgermeister Greven Bürgermeisterin Nordwalde
Claudia Bögel-Hoyer Stefan Streit
Bürgermeisterin Steinfurt Bürgermeister Tecklenburg
Wilfried Brüning Arne Strietelmeier
Bürgermeister Neuenkirchen Bürgermeister Lienen
Berthold Bültgerds Peter Vos
Bürgermeister Wettringen Bürgermeister Recke
Torsten Buller Robert Wenking
Bürgermeister Ladbergen Bürgermeister Horstmar
Annette Große-Heitmeyer
Bürgermeisterin Westerkappeln
Oliver Kellner
Bürgermeister Emsdetten
Ludger Kleine-Harmeyer
Bürgermeister Hopsten
Manfred Kluthe
Bürgermeister Laer
Gregor Krabbe
Bürgermeister Metelen
Rainer Lammers
Bürgermeister Lotte
Dr. Tobias Lehberg
Bürgermeister Saerbeck
Christa Lenderich
Bürgermeisterin Ochtrup
Wilhelm Möhrke
Bürgermeister Lengerich
David Ostholthoff
Bürgermeister Hörstel
Christina Rählmann
Bürgermeisterin Mettingen
Karl Reinke
Bürgermeister Altenberge